Samstag, 30. Mai 2015

Turin ganz slow

Turin ist keine Perle, Turin ist eine ehrliche Stadt. Turin ist auch eine Hauptstadt, die des Piemonts, einem kulinarischem Schlaraffenland und vielleicht auch die von Slow Food. "Turin kulinarisch" in 3 Tagen ist deshalb genauso wenig aufschlussreich wie all die Japaner und Chinesen die meinen,  3 Tagen reichen um Europa zu kennen. Aber (!), es ist so wie ein kleiner Apéro der Lust auf mehr macht. Und der uns die eine odere andere seeligmachende Entdeckung beschert hat.

Die erste grossartige Entdeckung machen wir gleich am ersten Abend. Wir hatten mehrmals versucht per Mail im Ristorante Consorzio zu reservieren, allerdings ohne Antwort. Als wir dann vor Ort nachfragen teilt man uns lapidar mit, man nehme Reservierungen nur telefonisch entgegen. Hätten wir uns ja eigentlich denken können. Und Platz hat es natürlich keinen mehr. Auch für die Folgetage ist alles ausgebucht. Pech gehabt. Der Wirt empfiehlt uns, es in seinem zweiten Restaurant, dem Banco Vini e Alimenti, gleich um die Ecke zu probieren. Was wir dann auch tun. Eine einfach eingerichtete Bar mit ein paar Tischen, ein reges Gedränge und eine entspannte Atmosphäre. Jeder scheint hier jeden zu kennen. Es ist ein stetes Kommen und Gehen und immer wieder ziehen verführerische Duftnoten aus der Küche vorbei. Wir entscheiden uns, unter anderem, für ein klassisches piemomteser Gericht aus dem Mittelalter, ein Eintopf aus verschiedenen Innereien und Hahnenkämmen, die Finanziera. Für alle die es nämlich noch nicht wissen, ein Tier besteht nicht nur aus Filet. Und die sogenannt minderen Stücke schmackhaft zuzubereiten ist um einiges anspruchsvoller als ein Filet zu braten. Der Koch des Banco kann's. Die Konsistenz ist etwas ungewohnt, der Geschmack vorzüglich. Dazu geniessen wir, und jetzt kommt die grosse Überraschung, einen Ruché di Castagnole Monferrato. Sensationell! Da Ruché sehr körperreich und langlebig ist, entstehen aus dieser Rebsorte sehr ungewöhnliche Weine, die durch Ihren wunderschönen Duft zu verzaubern wissen. Ruché wurde wahrscheinlich im 18. Jahrhundert aus dem Burgund in das Piemont gebracht und erst seit den 1970ern erfreut sich die Rebsorte wieder größerer Beliebtheit. Wir haben gleich den grossen Weintest gemacht, das heisst, wir haben eine Flasche mit über die Alpen genommen und er schmeckt auch hier noch ausgezeichnet. Die Winzerin Nadia Verrua hat hier tolle Arbeit geleistet.

Da wir gleich um die Ecke des berühmten Caffès al Bicerin wohnen, probieren wir am Samstag als erstes DIE Turiner Kaffee-Spezialität, den Bicerin. Es haut uns nicht aus den Socken aber dies vermutlich auch, weil das eher ein Getränk für die kalten Tage ist. Wer mehr über die Kaffee-Szene von Turin erfahren möchte der findet auf dem Blog von Kaffa Wildkaffee meinen Artikel Capuccino, Gelato, Torino. Wir lassen uns anschliessend durch Turin treiben und landen auf der Piazza Palazzo del Città wo an diesem Samstag gerade Markt ist. Ein kleiner, feiner Bio-Markt auf dem man tolles Brot, allerlei Gemüse und Früchte aus der näheren Umgebung, Seifen, Keramikwaren aber auch fantastische, geröstete Piemonteser Haselnüsse findet. Wir haben die von der Azienda Agricola Piatti Antonella Mazzè gekauft und finden sie perfekt. Nach dem Marktbummel sind wir weiter auf die Piazza Carignano um uns an der Speisekarte des Del Cambio den Mund wässrig zu lesen. Del Cambio ist, für alle, die noch nicht das Glück hatten dort zu speisen, DER Edelitaliener von Turin, italienische Haut Cuisine. Wir finden allerdings je länger je weniger Gefallen an dieser Art von Küche und bevorzugen je länger je mehr eine Cucuina Casalinga. Echte, währschafte Küche finden wir passt viel besser zu Italien. Hinter dem Palazzo Carignano stolpern wir über einen Blumenmarkt. Dieses Wochenende findet gerade die Flor15 statt, ein grosser Blumen- und Pflanzenmarkt in verschiedenen Strassen und auf diversen Plätzen. Hier lässt sich gut verweilen aber irgendwann treibt uns der Hunger in Richtung Piazza Vittorio Veneto wo wir in der Porto di Savona einen Spuntino leggero geniessen. Die Adresse haben wir aus dem Slow Food-Führer Osterie d'Italia (2011/12) der uns bis anhin immer äusserst zufriedenstellend geführt hat.

Frisch gestärkt spazieren wir dem Po entlang in den Parco Valentino. Einer der beliebtesten Aufenthaltsorte der Turiner an warmen Sommertagen. Und weil wir ja nicht nur zum Lustwandeln in Turin sind sondern auch zum Arbeiten (doch, doch!) mussten wir natürlich unbedingt ins Laboratorio del Caffè ORSO (der Bericht dazu hier). Der Ausgang führte uns durch die Gelateria Mara dei Boschi dessen Gelato al limon ein himmlischer Traum ist. Und das Pistazieneis ist ebenfalls göttlich. Selig lächelnd bestaunen wir den reichen Gemüse- und Früchtemarkt auf der Piazza Madama Christina, gleich geradeaus. Und göttliche Fügung muss es sein, die uns einen Schwenker machen lässt in die Via Bernardino Galliari. Dort geht der Markt weiter und etwa auf Höhe der Hausnummer 28 finden wir einen Käsestand. Genug von himmlisch, selig und göttlich. Dieser Käsestand war teuflisch gut. Verführung pur wohin das Auge blickte. Ein Teil der Käse waren hausgemacht, andere im eigenen Keller affiniert um das Angebot zu ergänzen. Wer jemals an einem Samstag in Turin ist und hier keinen Käse kauft, der hat wirklich was im Leben verpasst!

Langsam bummeln wir zurück Richtung Zentrum, nicht ohne in der Via Carlo Alberto der Versuchung nachzugeben und endlich den langgehgten Wunsch eines Myrrhe-Strauchs zu erfüllen den wir bei einem der tausend Händler der Flor15 finden. Voll bepackt gehts zurück zu Riccardos toller airbnb-Wohnung wo ich mir einen wohlverdienten Chinotto gönne während die Damen sich frisch machen. Leider finden wir im L'Acino keinen Platz mehr und so wählen wir müde und hungrig einfach das nächstbeste Restaurant. Am Sonntag geht's zum Frühstuck in die Cremolose "Il Gusto Giusto" wo es einen dieser Capuccino's gibt wie ihn nur die Italiener verstehen zuzubereiten. Über die Piazza Reppublica und die Via Borgo Dora laufen wir bis zum Fluss hoch, überqueren die Brücke und folgen dann dem Fluss entlang bis zur Corso Regio Parco. Dort beschliessen wir das Thema "Abseits von touristischen Trampelpfaden" abzuschliessen und kehren zurück Richtung Zentrum. Wir laufen durch die königlichen Gärten bis zum Museo Nazionale del Cinema, einem eindrücklichen, das Stadtbild prägendem Gebäude. Was uns mehr interessiert ist das gleich gegenüber liegende Ristorante Sotto al Mole in dem wir für den Abend einen Tisch reservieren. Von dort geht's wieder auf die Piazza Vittorio Veneto wo wir diesmal im Caffè Helena einen Spuntino leggero zu uns nehmen. Der Antipasto-Teller ist empfehlenswert und besonders die Acciughe verde ein wahrer Genuss. Dann zieht's uns hoch, auf die andere Seite des Flusses, zur Kirche Santa Maria del Monte von wo man einen tollen Blick über die Stadt hat. Von dort zieht es uns unweigerlich in Richtung Gelateria Mara dei Boschi wo wir es uns nochmals gut gehen lassen. Schliesslich muss man ja alles Gute zweimal testen um sicher zu sein :-). Am Abend dann nehmen wir einen Aperol Spritz und einen Negroni in einer der unzähligen Bars und schauen dem Treiben in den Bogengängen zu. Hungrig und voller Vorfreude heisst's dann ab ins Restaurant, welches auch im Slow Food-Führer empfohlen wird. Wir bestellen, unter anderem, ein Tatar, Vitello Tonnato, Tajarin, das sind Teigwaren die nur mit Eier und Mehl gemacht werden, mit Ragù di coniglio e fave, Agnolotti alla piemontese und Merluzzo fritto su crema di piselli. Das Essen ist erstklassig und die Preise sind mehr als korrekt. Zum Dessert gab es Torta di nocciole con salsa allo zabajone. Auch die war prima, es war aber zuviel davon auf dem Teller. Es war unser zweiter Besuch und er hat die wirklich tolle Küche bestätigt. Das Ambiente ist schlicht elegant und die Atmosphäre herzlich. Eine wirklich empfehlenswerte Adresse.

Am Montag Mittag gab's noch einen Abstecher zu Pastificio Defilippis. Ein von Slow Food als Maestri di Gusto ausgezeichneter Pasta-Produzent. Die Pasta wird mit den traditionellen Bronzeformen hergestellt was ihr eine rauhe Oberfläche gibt und so die Sauce besser haften lässt. Äusserst zufrieden mit diesem kulinarischen Appetitmacher fahren wir wieder nach Hause. Wir freuen uns schon auf unseren nächsten Turinbesuch. Denn unsere Liste mit feinen Adressen ist noch lang und wir sind sicher, auch noch ganz viele fantastische Entdeckungen zu machen die in keinem Führer stehen. Wir denken, im Herbst wäre es sicher eine tolle Zeit für neue kulinarische Entdeckungen. Das Wasser läuft uns jetzt schon im Mund zusammen ...